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Tokenisierung bietet post-Covid grosse Chancen

Auch wenn sich die Börsen nach dem Schock im März 2020 zwischenzeitlich erholt haben, bleibt die Unsicherheit für die Weltwirtschaft bestehen. Es ist zu deshalb erwarten, dass Investoren in den nächsten Monaten auch in Startups, Venture Capital oder Private Equity eher zurückhaltend sein werden.

Auch eine andere alternative Assetklasse – Plattformen und Unternehmen, die sich auf die Finanzierung von KMU über Security Token spezialisiert haben – dürfte noch eine längere Durststrecke vor sich haben. Das ist umso bedauerlicher, da sich die Security-Token-Branche just vor Covid-19 dynamisch entwickelt hatte.

Kann die Security-Token-Branche diesen Dämpfer verkraften? Oder wird Covid-19 ihr sogar zusätzlichen Schub verleihen? Tokenisierung bietet gerade jetzt wichtige Alternativen in der Finanzierung und Geldanlage. Aus ökonomischer Sicht sprechen zwei Argumente dafür, dass die Assetklasse weiteren Auftrieb erhält.

Erhöhter Finanzierungsbedarf

Zum einen werden bestehende Unternehmen einen erhöhten Finanzierungsbedarf haben. Unternehmen, die als Gewinner aus der Pandemie hervorgehen, werden Wachstumskapital suchen, andere benötigen für die Aufrechterhaltung ihres Betriebs Liquidität. Grosse Unternehmen nutzen dafür die klassischen Kapitalmärkte oder Bankkredite, doch für KMU sind der hohe Verwaltungsaufwand, die hohen Umsetzungskosten für den Zugang zum Kapitalmarkt im Vergleich zum relativ kleinen Volumen meistens zu hoch und Bankkredite schwierig zu erlangen.

Für sie bietet die Blockchain grundsätzlich die Möglichkeit, den Prozess zur Ausgabe von handelbaren digitalen Wertpapieren deutlich kostengünstiger und schneller durchzuführen. Dies macht Security Token zu einem attraktiven Instrument, um an Eigen- oder Fremdmittel zu gelangen. Zudem ist zu erwarten, dass der durch Covid-19 ausgelöste Digitalisierungsschub auch die Innovation fördern wird. Dadurch werden – hoffentlich – neue Projekte oder Unternehmen lanciert, die sich über «klassische» Aktien, Anleihen, oder gar innovative neue Finanzprodukte finanzieren lassen möchten.

Grundsätzliches Marktbedürfnis

Security Token bieten auch hier eine schnelle und prinzipiell kostengünstigere Art zur Refinanzierung an. Ein grundsätzliches Marktbedürfnis wäre also gegeben, wenn alle rechtlichen Voraussetzungen sowie die Verfügbarkeit von Kapital für solche Produkte gegeben wären.

Der zweite Aspekt betrifft die Entstehung eines ausreichend grossen Markts für Finanzierungen über Security Token. Eine Wirtschaftskrise ist vielleicht nicht der richtige Moment, um neue Investitionsformen auszuprobieren. Aber angesichts der anhaltenden Niedrigzinsperiode ist davon auszugehen, dass das Interesse von Anlegern an alternativen Anlagen steigen wird, sobald die weltwirtschaftliche Unsicherheit wieder abnimmt.

Denn Security Token können den Prozess von der Erzeugung über die Speicherung bis hin zum Sekundärhandel auf ein komplett neues Fundament stellen und so dazu beitragen, dass Anlagen, für die der Zugang zur Finanzbranche zu teuer war, «bankable» werden. Security Token erweitern also das Anlageuniversum für Anleger, wobei die grundlegenden Prozesse ein ähnliches Sicherheitsniveau wie die «klassische» Finanzinfrastruktur aufweisen.

Einheitlicher Rechtsrahmen

Damit das auch in der Praxis umgesetzt werden kann, muss sich jedoch auch das Rechts- und Aufsichtssystem entsprechend weiterentwickeln. Liechtenstein beispielsweise hat mit dem sogenannten Blockchain-Gesetz (Gesetz über Token und VT-Dienstleister, TVTG), das am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist, schon ein Instrument geschaffen, das Anlegern umfassende Rechtssicherheit gibt.

Hier ist es damit nun möglich, digitale Wertpapiere direkt und oh-ne Umweg über ein physisches Wertpapier zu erzeugen. Für Investoren bedeutet dieser Schritt, dass sowohl der Besitz sowie die zivilrechtliche Übertragung von Security Token die gleiche Rechtssicherheit aufweisen kann, wie wir sie aus dem traditionellen Finanzmarkt kennen.

Regeln zur Verwahrung

Ein weiterer Aspekt sind die Regeln zur Verwahrung von Security Token durch Dienstleister. Für einen Investor ist es wichtig, dass die Wertpapiere im Konkursfall des Dienstleisters auch vom Konkursvermögen getrennt werden. Mit dem Inkrafttreten des TVTG sind per Gesetz alle Token, also nicht nur Security Token, sondern auch Kryptowährungen oder Utility Coins, vom Vermögen des Dienstleisters separiert. Daneben umfasst das TVTG noch einige weitere Regeln zur Verbesserung der Rechtssicherheit rund um Blockchain-Anwendungen.

Europäische Anbieter von Security Token sehen sich jedoch nicht nur nationalen zivil- und aufsichtsrechtlichen Fragen konfrontiert. Vielmehr müssen in Zukunft einige essenzielle Fragen in Bezug auf die Behandlung von Security Token im Zusammenhang mit dem europäischen Finanzmarktrecht geklärt werden, zum Beispiel die ganz grundlegende, welcher Token genau als Finanzinstrument zu qualifizieren ist. Das ist noch nicht in allen Ländern abschliessend und vor allem einheitlich geklärt.

Gerade angesichts der innovativen Ausgestaltungsmöglichkeiten von Token ist das aber von sehr grosser Bedeutung. Ebenfalls noch unklar sind die Regeln, ab wann eine Plattform im Umfeld von Primäremissionen von Wertpapieren sich als Finanzdienstleister qualifizieren muss. Solange es hierauf keine Antworten gibt, ist eine grenzüberschreitende Emission von Security Token in Europa mit grossen Rechtsrisiken für die Unternehmen verbunden.

Hohe Hürden

Dasselbe Bild zeichnet sich beim Sekundärhandel ab: Der regulatorische Rahmen für Finanzdienstleister rund um Wertpapieremission und -handel wurde für den traditionellen Finanzmarkt geschaffen. Die Anforderungen an Finanzdienstleister sind deshalb relativ hoch und bilden die traditionellen, umfassenden Geschäftsmodelle ab. Für Security Token-Dienstleister, die meist nur einen kleinen Ausschnitt der Tätigkeiten eines traditionellen Intermediärs machen, sind diese Hürden meist viel zu hoch und mit Blick auf ihr fokussiertes Geschäftsmodell auch nicht angemessen.

Sie versuchen deshalb oft, sich ausserhalb des Finanzsektors zu positionieren, verbunden mit entsprechenden regulatorischen Risiken im europäischen Binnenmarkt. Die Abgrenzung zwischen dem regulierten und dem nichtregulierten Bereich ist angesichts der Vielfalt an Ausgestaltungsformen, die durch die Technologie ermöglicht wird, nicht wirklich einfach – weder für den Regulator noch für die Unter-nehmen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn diese Differenzierung in vielen Ländern immer noch unklar und heterogen gehandhabt wird. So lange kein rechtssicherer und gleichzeitig effizienter und kostengünstiger Sekundärmarkt für Security Token existiert, wird sich die Nachfrage seitens der Investoren in engen Grenzen halten.

Regulatorisches Risiko

Security Token-Dienstleister waren in den letzten Monaten nicht nur aus wirtschaftlicher Perspektive einem Dämpfer ausgesetzt. Vielmehr ist das regulatorische Risiko in Europa für Player in diesem Sektor nicht geringer geworden. Teilweise hat es sich sogar erhöht, da viele Staaten mittlerweile eine eigene Auslegung der Finanzmarktgesetze in Bezug auf Token erarbeitet haben.

Für die Entwicklung der Security-Token-Branche in Europa ist deshalb wesentlich, dass einerseits die bestehenden Unsicherheiten in Bezug auf die Finanzmarktregulierung so schnell wie möglich beseitigt werden, und andererseits die Finanzmarktgesetze so angepasst werden, dass Dienstleister risiko- und tätigkeitsbezogen reguliert werden. Ohne diese beiden Schritte ist die Entwicklung der Security-Token-Branche von den etablierten Finanzdienstleistern abhängig, die meist nur ein eingeschränktes Interesse an der Emission von Security Token haben.

Eine positive Entwicklung der Security Token-Branche ist aber im Sinne der Wirtschaft wie auch der Anleger. Es bleibt daher zu hoffen, dass die EU-Kommission diese Probleme rasch löst und so die Grundlage für einen prosperierenden Security-Token-Sektor in Europa legt. Dann wäre die zeitliche Verzögerung durch Covid-19 gut genutzt worden.

Autor

Thomas Dünser

Thomas Dünser leitet seit April 2019 die Stabsstelle für Finanzplatzinnovation, welche für die Unterstützung von Finanzunternehmen in Innovationsfragen zuständig ist. Dazu gehört auch die Betreuung des staatlichen Innovationsprozesses zur Weiterentwicklung der staatlichen Rahmenbedingungen für innovative Unternehmen. Davor war Thomas Dünser im Ministerium für Präsidiales und Finanzen zuständig für Innovations- und Digitalisierungsfragen und unter anderem verantwortlich für die Entwicklung des Blockchain-Gesetzes in Liechtenstein. Vor seiner Tätigkeit im Ministerium für Präsidiales und Finanzen war er als Unternehmer sowie als Leiter Group Asset & Liability Management bei der VP Bank in Vaduz tätig. Er hält ein Diplom als Maschinenbauingenieur ETH und hat ebenfalls an der ETH Zürich promoviert. Kürzlich wurde sein Buch «Legalize Blockchain» veröffentlicht, in dem er über die staatliche Sicht auf die Regulierung von Blockchain und Token Ökonomie ausführt.